Roger Chevalier
EDF SA, R&D Division
Dr. Patrick Bangert
algorithmica technologies GmbH
Wenn in einem Kernkraftwerk die Vibrationen einer Turbinenachse ein gewisses Höchstmaß überschreiten, sprechen wir von einer Vibrationskrise. Eine solche Vibrationskrise stellt noch keine reale Beschädigung dar, könnte aber – sofern sie nicht eingedämmt wird – zu einem größeren Betriebsausfall führen. Die genauen Ursachen des Problems können gegenwärtig noch nicht näher bestimmt werden, aber Vibrationskrisen ereignen sich offenbar immer unter denselben Bedingungen, namentlich bei einem bestimmten Vakuumdruck und bei einer bestimmten Vakuumleistung – zwei wesentliche Messwerte der Anlage.
Schaubild 1.: Dies zeigt die Vibration eines Lagers über einen Zeitraum von 35 Tagen. Die horizontale Linie stellt die Krisengrenze der Vibration dar: Übersteigt der Vibrationswert diese Grenze, sprechen wir von einer Vibrationskrise. Es wird unser Ziel sein, solche Ereignisse vorherzusagen.
Diese Studie befasst sich mit der Vorhersage von zukünftigen Vibrationskrisen; nicht jedoch mit der Frage, welcher Mechanismus solche Vibrationen verursachen könnte. Wenn man Stunden vorher sagen könnte, wann eine Krise eintritt, würde dies den Anlagenfahrer die Lage versetzen, Gegenmaßnahmen zur Verringerung der Vibration zu ergreifen.
Für jedes der fünf Lager unseres Turbinen-Modells stehen uns folgende Werte zur Verfügung: ein Vibrationswert und zwei Temperaturwerte der Metallplatten ; gemessen wird auch der Dampfdruck an mehreren Stellen des Prozesses, die Axial-Position der Turbinenwelle, die Rotationsrate, dann die von der Anlage produzierte aktive und reaktive Energie sowie ein Temperaturwert des Ölkreislaufs. Diese Informationen werden alle zehn Minuten über einen Zeitraum von fünf Monaten abgelesen, um daraus ein Modell zu generieren und die Anzeichen einer unmittelbar bevorstehenden Vibrationskrise zu erkennen.
Nachdem das Modell erstellt wurde, haben wir das Modell auf den Datensatz eines anderen Kraftwerks angewandt. Schaubild 1 zeigt die Daten dieses neuen Datensatzes für einen Zeitraum von 35 Tagen – im Gegensatz zu den fünf Monaten, die für das „Training“ des Modells zur Verfügung standen. Die Daten der ersten 20 Tage wurden dazu genutzt, das Modell auf die neue Anlage umzustellen, von der das Modell ja bisher noch keine Daten zur Verfügung hatte. Es zeigte sich, dass der Algorithmus in der Lage ist, das Modell an eine neue Anlage anzupassen, die sich anders verhält als jene Anlage, die zur Programmierung verwandt wurde. Nach der Anpassung wurde dem Modell der Auftrag erteilt, die weiteren 15 Tage vorherzusagen. Das Ergebnis sehen wir in Schaubild 2, wo die Kurve der bekannten Daten in grau abgebildet ist, während die Kurve der Vorhersage schwarz erscheint. Wir sehen, dass das Modell die nächste Vibrationskrise korrekt vorhersagt, die übernächste aber nicht erkennt.
Von einer Reihe von Beispielen wie diesem lernten wir, dass eine Vibrationskrise bis zu drei Tagen vorher korrekt vorhergesagt werden kann. Weil die eigentliche physikalische Ursache der Krise noch nicht bekannt ist, wissen wir auch nicht, warum es diese Begrenzung von drei Tagen gibt; jedenfalls macht sich der ursächliche Zusammenhang nicht früher bemerkbar.
Schaubild 2.: Die Messwerte der Daten von Schaubild 1 sind in hier grau gezeichnet. Die schwarze Linie stellt die Vorhersage (nach einer anfänglichen Anpassungsphase) dar. Die erste Vibrationskrise wird korrekt vorhergesagt, während die zweite Krise unerkannt bleibt.
Wir haben 6 solcher Vorhersagen in einer Doppelblindstudie gemacht und dabei 5 Vibrationskrisen korrekt vorhergesagt. Das Modell ist also recht erfolgreich bei der Vorhersage einer Krise. Das ist möglich, obwohl die eigentlichen Ursachen noch untersucht werden müssen. Würde man das Problem besser verstehen, könnte auch das Modell noch verbessert und die Daten noch besser aufbereitet werden.