Effizienzsteigerung im Kohlekraftwerk

Effizienzsteigerung im Kohlekraftwerk

Jörg-A. Czernitzky
Vattenfall Europe Wärme AG

Dr. Patrick Bangert
algorithmica technologies GmbH

Abstract

Die Effizienz des Heizkraftwerks Reuter-West in Berlin kann um 1,1% gesteigert werden, wenn bei Betriebsabläufen mathematische Modellierungen zum Einsatz kommen.

Das Problem

Die Effizienz des Vattenfall-Kraftwerks Reuter-West in Berlin hängt davon ab, wie die verschiedenen Arbeitsabläufe ausgelegt sind. Während viele kleinere Prozesse dank unterschiedlichster Technologien automatisch ablaufen, wird der Prozess insgesamt von menschlichen Anlageführern kontrolliert. Deshalb hängt die maximal-mögliche Effizienz des Kraftwerks teilweise von den Entscheidungen, dem Wissen und der Erfahrung der Anlagenfahrer ab. Für sie stellen sich vor allem zwei Herausforderungen:

  1. In der Anlage werden in rascher Folge mehrere tausend Messungen durchgeführt. Ein Anlagenbetreuer kann nicht einmal die wichtigsten dieser Messungen ständig im Auge behalten. Deshalb sind seine Entscheidungen oft durch Intuition und subjektive Einschätzungen geprägt. Wir konnten über 800 verschiedene Zustände der Anlage feststellen, auf die die Anlagenbetreuer jeweils reagieren müssten, es aber nicht tun, weil sie diese Bedingungen nicht ohne Computerberechnungen auseinanderhalten können.
  2. Einige Anlagenfahrer sind in ihrem Bemühen, eine möglichst gute Effizienz zu erzielen, besser als andere; aber es ist schwierig, diesen Vorsprung an Wissen und Erfahrung an weniger erfahrene Fahrer weiterzugeben. Selbst die besten reagieren nicht optimal, da sie nur jeweils eine 8-Stunden-Schicht für Lernerfahrungen zur Verfügung haben. Ein Computer-System hingegen kann die Auswirkungen einer bestimmten Aktion fortlaufend über einen Zeitraum von 24 Stunden pro Tag beobachten und sich somit ein umfassenderes Bild machen.

Der hohe Grad an Komplexität kombiniert mit Schwankungen in der Erfahrung der Anlagenbetreuer überfordert den menschlichen Geist und führt zu suboptimalen Entscheidungen. Darum stellt sich die Frage, wie wir die Effizienz systematisch optimieren können, indem wir uns auf harte Fakten stützen?

Die Lösung: Ein Modell entwickeln

Machine Learning wurde angewendet, um die komplexen gegenseitigen Abhängigkeiten aller gemessenen Daten der Anlage zu berücksichtigen. Wie funktionierte das? Dem„Machine Learning“-Algorithmus zeigte man nach und nach alle Messdaten der Anlagenhistorie – wobei jeder Messpunkt fast 2000 Einzelmessungen enthielt. Langsam lernte das Modell mehr und mehr über die Anlage, sodass das Modell die reale Anlage mit der Zeit immer besser nachahmte. Nachdem alle historisch verfügbaren Daten über einen Zeitraum von acht Monaten dem Modell im Rhythmus von einem Messwert pro Minute zugeführt worden waren, konnte das Modell die reale Anlage korrekt darstellen: Die errechneten Werte der Variablen wichen von den tatsächlich gemessenen Werten um nur 0,1% ab.

Weil das Kraftwerk größtenteils automatisiert ist, hat man für diese Studie ausschließlich den (nicht-automatisierten) Wärme-Anteil der Anlage herangezogen. Der Software nahm im Laufe des Betreibens des Kraftwerks immer wieder Veränderungen an der Durchflussrate, der Temperatur und dem Druck des Wärmesystems vor. Das Modell muss während der Produktion der Anlage immer wieder Veränderungen mehrerer Parameter berücksichtigen, die weder der Computer noch die Anlagenbetreuer beeinflussen konnten: die Qualität der Kohle, dann Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit der Außenluft, der Energieverbrauch der Anlage als Ganzes, die Temperatur zur Erhitzung des Wassers sowie die Temperatur des Kühlwassers.

Die Lösung: Inversion

Das Modell lieferte uns eine Reihe von Gleichungen, mit deren Hilfe die Effizienz als Funktion der verschiedenen Messwerte der Anlage dargestellt wurde. Das erlaubte dann auch eine Umkehrung der Gleichungen, sodass wir fragen konnten: Welche Stellschrauben müssen wir verändern, um die Effizienz zu maximieren? Wir suchten also nach einer Konstellation, welche die jeweils tatsächlich vorgegebenen (unkontrollierbaren) Parameter berücksichtigte, aber eine höhere Effizienz bot, sodass wir dann Empfehlungen darüber aussprechen konnten, welche variablen Regler verstellt werden müssen, um diese erhöhte Effizienz in der realen Anlage zu erreichen.

Das Modell kann diese Hilfestellung kontinuierlich anbieten. Wenn in der Anlage Umstellungen vorgenommen werden oder sich die Randbedingungen verändern, zeigen sich diese Veränderungen in den Messdaten, sodass das Modell ständig hinzulernt. Das Modell bleibt somit stets auf dem neuesten Stand und kann jederzeit die optimalen Handlungsempfehlungen an die Anlagenbetreuer weitergeben, die dann die Verantwortung haben, diese Empfehlungen entweder umzusetzen oder sich ihnen zu verweigern.

Nehmen wir ein Beispiel: Die Außentemperatur steigt mit dem Aufgehen der Sonne. Es zeigt sich, dass es effizient ist, den Druck des Heizwassers um 0,3 bar zu reduzieren, um auf diese Weise die erhöhte Außentemperatur zu kompensieren. Das Modell spuckt diese Empfehlung aus, und die Effizienzsteigerung lässt sich schon nach kürzester Zeit beobachten. Wann immer sich eine Randbedingung verändert, muss die Anlage unter Berücksichtigung einer Vielzahl von komplexen Wechselbeziehungen entsprechend reagieren.

Ergebnisse und Schlussfolgerungen

Über einen Acht-Monats-Zeitraum zeigte sich die optimale Effizienz gegenüber der nur von Menschen gesteuerten Effizienz um 1,1% erhöht. Das ist ein bedeutsamer Effizienz-Zuwachs, der sich in der Einsparung von anzukaufender Kohle niederschlagen kann oder – besser noch – in einer Reduktion von CO2-Emissionen per Megawatt, wodurch man sich den Zukauf von teuren Emissions-Zertifikaten ersparen kann. Die wesentlichen Vorteile dieses Ansatzes sind die folgenden:

  1. Das Modell verarbeitet unaufhörlich sämtliche gemessenen Parameter der Anlage in Echtzeit, während ein menschlicher Anlagenfahrer sich gedanklich nur mit einer kleinen Anzahl von Messwerten auseinandersetzen würde und dies auch nur während seiner Arbeitsschicht tun kann.
  2. Das Modell berücksichtigt sämtliche wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen Parametern genauso, wie sie sich im Laufe der Zeit verändern; einem menschlichen Anlagenbetreuer würden die meisten dieser Interdependenzen entgehen.
  3. Das Modell bietet eine gleichförmige und nachhaltige operative Strategie 24 Stunden am Tag, während ein Anlagenbetreuer dies nur jeweils für seine Acht-Stunden-Schicht tun könnte.
  4. Das Modell errechnet jeweils die optimalen Sollwerte und kann deshalb Schwankungen aufgrund subjektiver menschlicher Entscheidungen ausgleichen; damit befreit das Modell den Anlagenbetreuer von der Last, intuitive und risikoreiche trial-and-error-Anpassungen vorzunehmen.

Obwohl das Modell sich nur mit dem Wärme-Anteil der Anlage befasste und den automatisierten Teil der Anlage außen vor ließ, zeigte es sich, dass das Modell auch für den automatisierten Teil nützlich werden kann. Automatisierung wird nämlich dadurch erreicht, dass man bestimmte Reaktionskurven in das Leitsystem einprogrammiert. Diese Reaktionskurve erhält man gewöhnlich durch Erfahrung, und diese ist selten optimal. Das „Machine Learning“-Modell kann auch dafür eine optimale Reaktionskurve anbieten, die dann in das Leitsystem einprogrammiert werden kann, um auch dafür die Effizienz zu steigern. Somit zeigt sich das Modell als vorteilhaft nicht nur für den handbetriebenen Bereich, sondern auch für den automatisierten Teil.

Lösung

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